Herkunft und Funktion des ausgestellten Bindemähers

An Führungen im Museum kommen regelmässig Fragen zur Herkunft und Funktion des ausgestellten Bindemähers der Familie Villiger aus der Eichmühle in Beinwil. Zeit, sich für einmal im Rahmen eines Blog detailliert mit der Geschichte und Entwicklung dieser für die Welternährung vermutlich wichtigsten Landmaschine zu beschäftigen.

2015, vor bald 9 Jahren war diese Abbildung auf der Titelseite der Broschüre zur Sonderausstellung "Korn und Getreide im Wandel der Zeit" zu sehen:

Abgebildet ist der legendäre Bindemäher der Marke "McCormick", Baujahr 1912.

Die Entwicklung des Bindemähers beruht auf drei wesentlichen Erfindungen: Schneidwerk, Aehrenheber, Haspel.

Zumindest bildlich nahe am modernen Konzept war ein Pastor in Schottland 1): Patrick Bell setzte seinen "Reaper" 2) erstmals 1828 ein.

Das Gerät wies einen Scherenbalken3) auf, um das Getreide zu schneiden, einen Haspel, der die Aehren nach hinten, auf das quer laufende Tuch beförderte, welches das Erntegut seitlich ablegte. Bells Gerät war allerdings kein Erfolg beschieden. Das stets verstopfende Schneidwerk war untauglich.

Auf der anderen Seite des Atlantiks, in Virginia (USA) lebte Robert H. McCormick, Landwirt, Vater einer Familie mit 8 Kindern. Wie viele andere Bauern suchte er einen Weg, wie die mühselige Getreideernte erleichtert werden könnte. Sein ältester Sohn, Cyrus H. McCormick nahm sich 1831, zusammen mit seinem Sklaven Jo Anderson, des – mittlerweile aufgegebenen – väterlichen Projekts an. Nach 6 Wochen Arbeit in der Werkstatt war der 22-Jährige bereit, den "Reaper" den ortsansässigen Bauern vorzuführen. Es heisst, die anwesenden Farmer hätten ihre Eindrücke über das schlittenähnliche Gerät nicht einordnen können. Besonders die darauf gebaute Mechanik wollte keinen Sinn ergeben. Sichtbar war ein sägeähnliches Messer und darüber der "Haspel", den auch Bells Gerät aufwies.

McCormick brachte den Reaper in ein Weizenfeld, und das Staunen nahm kein Ende. Von einem Pferd gezogen begann die Maschine sich zu bewegen, angetrieben von einem Rad mit Zahnrädern und Ketten. Plötzlich wurde klar, dass der Apparatus in der Lage war, bisher auf viele Hände und Rücken verteilte Arbeit zu erledigen: Mähen, Ablegen. Der Haspel übernimmt die Funktion des auf dem Worb4) der Getreide-Sense angebrachten Korbs. Er sorgte dafür, dass die Aehren nach hinten, auf den Tisch abgelegt wurden. Ein Mann führte das Pferd, ein zweiter Mann räumte mit einem Rechen das Schnittgut vom Tisch. Die Maschine funktionierte einwandfrei.

Das Konzept des Schneidwerks mit beweglichen Klingen und fest am Rahmen befestigten Gegenschneiden hat seither, auch im 21. Jahrhundert nichts von seiner Gültigkeit verloren. Neu und wichtig waren die aus starkem Draht geformten, vor den Messern liegenden Aehrenheber. Und drittens: der Halmteiler, das gewölbte Blech, das gemähtes vom noch stehenden Getreide teilte. Die Konstruktion bewährte sich – im Gegensatz zu Bells Scheren und anderen Verfahren – wenn das Getreide am Boden lag oder witterungsbedingt unordentlich geworden war. McCormick konnte seine ganze Weizenfläche mähen 5).

McCormicks Reaper, vorerst nur für die Bauern in der Umgebung gebaut, hatte das Zeug, ein Geschäftserfolg zu werden. Die Maschine erlaubte, viel grössere Flächen zu ernten als dies mit der herkömmlichen Sense je möglich gewesen wäre. Das Tageswerk eines kräftigen, mit Sense bewehrten erstklassigen Mähders hätte damals gerade einmal zwei 'Acres' (~80 Aren, entspr. der Fläche von 2 Fussballfelder) betragen.

Mehr ernten zu können, hiess für die Bauern, die Anbaufläche auszudehnen. Die Annahme, dass der Reaper Hungersnöte und Teuerungen verhinderte, ist zulässig. McCormicks Maschine veränderte die Landwirtschaft grundlegend. Bauernfamilien vermochten zuvor nur mit grosser Anstrengung genug Getreide zu ernten, um sich damit während eines ganzen Jahres versorgen.

Die Käufer der neuen Maschinen beschwerten sich darüber, dass der Schneidtisch von Hand geräumt werden musste. Von einem findigen Nachbarn kaufte McCormick das Patent zu einem mechanischen, nach oben ausholenden Rechen mit langen Zinken. Mit der Ergänzung durch den "Iron Man" genannten Apparat war ein Zwischenziel erreicht: der "Reaper" sparte die Hälfte aller menschlichen Arbeitskraft.

1849, ein Jahr später, rüstete ein Tüftler die Erntemaschine mit einem Fördertuch aus, womit das gemähte Getreide direkt auf einen Wagen verladen werden konnte. Wiederum 9 Jahre später wurde ein Tisch angebaut, worauf Garben gebunden werden konnten. Die Ernteleistung erhöhte sich um das 3-fache, zwei Mann schafften - aufrecht stehend - was vorher sechs mit auf dem Boden liegenden Halmen schafften.

Alsbald erfolgte der Ruf aus dem mittleren Westen, wo sich die wirklich grossen Weizenfelder befanden. Obwohl McCormick 1840 in Konkurs geraten war und vom Hof musste, fand sich ein Investor. Von seiner Erfindung überzeugt - wählte Cyrus McCormick Chicago als Standort einer Fabrik aus, wo die laufend verbesserten "Reapers" ab 1847 gebaut werden sollten. 500 davon im ersten Betriebsjahr. 1849 verliessen 1'500 Maschinen das Werk. 1862 waren es 30'000. Die grosse Nachfrage hatte – bereits 1849 - die Behörden veranlasst, den Patentschutz für McCormicks Maschine aufzuheben. Was 30 andere Firmen bewog, ihrerseits "Reaper" herzustellen.

Exkurs: 1860 erfolgte die Wahl von Abraham Lincoln zum Präsidenten. Er – und die neu gegründete Partei der Republikaner (!!!) versprachen, die Sklaverei abzuschaffen. Nach Lincolns Wahl entzweite sich die Union über der Frage, welche Teilstaaten als sog. "Slave-States" weiterhin Sklaven halten durften. Elf konföderierte Staaten trennten sich von der Union. Die Südstaaten bauten äusserst lukrative Baumwolle, Reis, Tabak an. Dabei bestand ihr grösstes Kapital aus – teuer gekauften – Sklaven, welche zur Arbeit in den personalintensiven Pflanzungen gebraucht wurden.

1861 begann der 4 Jahre dauernde amerikanische Sezessionskrieg. Am 12. April 1861 war das zur Union gehörende "Fort Sumter" unter Beschuss genommen worden. "Fort Sumter" liegt in Süd-Carolina, in einem der abtrünnigen 11 "Confederates".

In den Nordstaaten dominierte die eher 'klassische' Landwirtschaft mit Getreide und Viehwirtschaft. Der Sieg der Unionsstaaten über die Konföderierten im Jahr 1865 hatte nachweislich mit dem Einsatz des "Reaper" aus Chicago zu tun. Ehemalige Erntehelfer wurden in grosser Zahl zum Kriegsdienst aufgeboten. Es heisst, der amerikanische Bürgerkrieg hätte mehr Menschenleben gefordert als je ein von den U.S.A. geführter Krieg nachher.

1874 kam es zu Versuchen mit von der Maschine gebundenen Garben. McCormick hatte Besuch von einem Goldschmied erhalten, der einen Drahtbinder vorstellte. Männiglich hatte bis dato geglaubt, eine Maschine würde niemals in der Lage sein, einen Knoten zu machen. Charles Withingtons Konzept für einen Drahtknoter waren zwei nadelförmige Stahlbogen, welche den Draht um die Garbe führten und ein Drehmechanismus, um den Draht zu verdrillen. McCormick war überzeugt und verkaufte an die 50'000 mit Drahtbinder ausgerüstete Maschinen. Ein Mann mit Pferden schaffte, was ehedem 8 Mann zu Wege brachten.

Die Drahtbindung hatte allerdings mehrere, gravierende Nachteile. Zum Einen bereitete deren Auflösung Schwierigkeiten, und zum Anderen verletzten sich die Leute im Umgang mit den Garben immer wieder an den Händen. Ausserdem häuften sich Notschlachtungen von an 'Fremdkörpern' erkrankten Tieren. Im Futter liegende Drahtstücke verletzten die Eingeweide. Alles in Allem war der Bindedraht nicht wohlgelitten. Abhilfe ersann John Appleby mit der Erfindung des Knüpfers, dessen Konzept noch heute zu Schnurbindungen in Ballenpressen, etc. zum Einsatz kommt. William Deering, Konstrukteur des Bindetischs (vergl. oben) stellte im Winter 1880 dreitausend Stück des Schnurbinders her. Noch bevor die Ernte 1880 vorbei war, waren sie mit Gewinn verkauft. Der Drahtbinder verschwand.

Das nachstehende Bild zeigt das 'Herzstück' des "Deering-Knoter". Seit bald 150 Jahren im Prinzip unverändert wird er in Ballenpressen, etc. eingesetzt.

Cyrus H. McCormick starb 1884. Seine Erfindung, gepaart mit Sinn fürs Geschäft, hatte zu sprunghafter Ausdehnung der Getreideflächen, auch ausserhalb der U.S.A. geführt. Die Fabrik in Chicago anzusiedeln, war Teil der Strategie. In Chicago treffen sich die Eisenbahnlinien, welche den Westen des Landes erschliessen.

1902 fusionierten 4 Landmaschinenfirmen zu "International Harvester Company" ("IHC"): McCormick Harvesting Machine Company, Deering Harvester Company, Plano Harvester Co. und Warder, Bushnell & Glessner Co. IHC-Produkte wurden an verschiedenen Standorten weltweit fabriziert. Von 1908 bis 1997 wurden Traktoren in Neuss a. Rhein (D) vorerst verkauft und später fabriziert. Durch "Farmall" war IHC als Traktormarke bekannt geworden. In den U.S.A. sind IHC-Schulbusse und v.a. auch schwere Lastwagen allgegenwärtig gewesen.

Im Keller des Autors stand ab 1952 während gut 50 Jahren eine von seinen Grosseltern gekaufte Kühltruhe der Marke IHC.

Entwicklung der Getreideernte in Kurzübersicht

Altertum

Die Aehren werden von Hand vom Stroh gerissen, gestrippt. *) Aegypter, 3200 v. C.: Sichelschnitt, der sich besonders in der südlichen Hemisphäre bis Ende des 19. Jahrhunderts hielt.

*) Stripp-Ernte: Seit ca. 20 Jahren werden Erntemaschinen gebaut, die auf diesem Prinzip basieren. Finger streifen das Erntegut vom Halm. Zitierte Vorteile: weniger Feuchtigkeit im Erntegut, Mähdrescher wird leistungsfähiger, weil kein Stroh gedroschen wird. Nachteile: Stroh zur Weiterverarbeitung muss separat geschnitten werden.

Mittelalter bis in die Neuzeit

Sense: Die Sense erlaubte dem Schnitter einigermassen aufrecht zu gehen. Der auf dem "Worb" (Holzstange, an der das "Blatt" befestigt ist) angebrachte "Korb" sorgt dafür, dass die Aehren tragenden Stängel in der gleichen Richtung zu liegen kommen.

19. Jahrhundert

Antraggabeln: eine leichte, mit abgewinkelten Zinken versehene Gabel. Damit konnte unter das Stroh gegriffen werden und zu Haufen zusammengelegt. Die Haufen wiederum wurden zu Bündeln
geformt und mit Stroh oder wiederverwendbaren "Garbenseilen" zusammengebunden.

1831

Der von Pferden gezogene "Reaper" ist eine Erfindung, deren Bedeutung weit über das eigentliche Einsatzgebiet hinausreichte. Die zu Beginn von 2 Mann bediente Maschine verrichtete die Arbeit von zuvor 8 Leuten. Neben der – nunmehr – möglichen Ausdehnung der Weizenflä- chen, ermöglichte die Maschine, dass die einsetzende Industrialisierung das notwendige Personal finden konnte.

Noch etwas Fachwissen

Die Getreideernte mit dem Bindemäher ist zweistufig evtl. mehrstufig.
Stufe 1: in der sog. "Gelbreife" des Getreides, die ca. 10 Tage bis eine Woche vor der eigentlichen Vollreife ("Totreife") erreicht ist, sind Stroh und Aehren noch elastisch. Mechanische, physische Behandlungen können ohne Körnerverlust durchgeführt werden. Das Ernteverfahren hatte durchaus auch eine positive Seite: Hagelwetter auf totreifes Getreide können einen Totalausfall bedeuten. Stufe 2: Sonne und Luft trocknen die Garben so, dass sie verlustfrei eingeführt werden können. Nur wenige Betriebe waren in der Lage, die nunmehr trockenen Garben ohne Zwischenlagerung zu dreschen.

Stufe 3: Das in der Scheune gelagerte Erntegut wurde in der vegetationsfreien Zeit, im Spätherbst, ggf. im Winter mit Dreschflegel, später mit Dreschmaschinen gedroschen.


  1. www.thoughtco.com/mccormick-reaper
  2. Reaper: engl. für "Ernter"
  3. eine Häl􏰀e jeder Schere war am Geräterahmen fixiert, die andere über einen Kurbelmechanismus bewegt
  4. "Worb" Schweizer Ausdruck für 'Sensenbaum'
  5. Belegt ist, dass C.H. McCormick vom Dorfschmied und insbesondere von seinem Sklaven Jo Anderson bei Konzept und Konstruk􏰁on unterstützt wurde.
  6. eu.newsleader.com/story/news/history/2018/05/29/augusta-county-slave-co-invented-reaper-revolu􏰁onized-agriculture
  7. www.claas-group.com
  8. www.mainpost.de

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